Bericht: Internationale Klausurwoche zu ethischen Aspekten von Hirnorganoiden (8.-12.8.22)
Was sind Hirnorganoide? Hirnorganoide sind dreidimensionale, aus Stammzellen gewonnene Zellstrukturen, die in Bezug auf ihren Aufbau und enthaltene Zelltypen Teilen des Gehirns ähneln. Sie dienen der Forschung als Modellsysteme für die Untersuchung der Entwicklung und Erkrankungen des Gehirns. Damit verbindet sich die Hoffnung, neue Therapien für Demenz, Parkinson oder andere Krankheiten zu entwickeln. Zudem können …
Was sind Hirnorganoide?
Hirnorganoide sind dreidimensionale, aus Stammzellen gewonnene Zellstrukturen, die in Bezug auf ihren Aufbau und enthaltene Zelltypen Teilen des Gehirns ähneln. Sie dienen der Forschung als Modellsysteme für die Untersuchung der Entwicklung und Erkrankungen des Gehirns. Damit verbindet sich die Hoffnung, neue Therapien für Demenz, Parkinson oder andere Krankheiten zu entwickeln. Zudem können patientenspezifisch Organoide zur Vortestung von Medikamenten genutzt, gentechnisch verändert oder in Versuchstiere transplantiert werden.
Ethische Herausforderungen in der Forschung
Wenngleich Hirnorganoide sehr viel kleiner und weniger komplex sind als ihre Vorbilder, verbinden sich mit der Forschung und Anwendung ethische Herausforderungen: Hierzu zählen beispielsweise forschungsethische Fragen nach der Einwilligung der Gewebespender*innen oder mögliche Grenzen bei der Schaffung von Mensch-Tier-Mischwesen (Chimäre). Angesichts der technischen Entwicklung steht zudem die Frage im Raum, ob komplexe Hirnorganoide einmal eine Form von Bewusstsein ausbilden könnten und damit besonders schützenswert wären.
Diskussionen zwischen Nachwuchs, Expert*innen und Bürger*innen auf der internationalen Klausurwoche
Derartigen ethischen, rechtlichen und sozialen Fragen wurde vom 8. bis 12. August 2022 auf einer internationalen Klausurwoche in Tübingen nachgegangen. Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Veranstaltung wurde von der Juniorprofessur für Medizinische Ethik der FGW Brandenburg gemeinsam mit der Forschungsstelle „Ethik der Genom-Editierung“ des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Tübingen organisiert.
Dort diskutierten 14 Nachwuchswissenschaftler*innen unterschiedlicher Fachrichtungen ihre aktuellen Forschungsarbeiten mit zehn renommierten Expert*innen. Unterschiedliche Veranstaltungen adressierten zudem die breite Öffentlichkeit und sorgten für einen regen Austausch zu Chancen und Risiken dieses Forschungsfeldes.
Neben den Fachvorträgen stellte der Besuch in Laboren am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung ein Highlight der Veranstaltung dar. Dabei wurde u.a. gezeigt, wie Neuronen in Hirnorganoiden miteinander kommunizieren und der Aufbau eines menschlichen Hirnorganoids mit Maushirn- und Fruchtfliegenhirnproben verglichen.
Zwei sehr gut besuchte Abendvorstellungen richteten sich an die interessierte Öffentlichkeit: Ein Wissenschaftsabend im Café Haag mit Science Slam, Pecha Kucha-Vorträge und Pub Quiz sorgte für gute Unterhaltung und wurde auf der Titelseite des Schwäbischen Tagblatts berichtet. Im sogenannten Fishbowl-Format diskutierten die geladenen Expert*innen mit der Tübinger Bürgerschaft, die sich den lebhaften Diskussionen rund um ethische Fragen von Hirnorganoiden anschloss.
Genauere Erforschung der Hirnorganoide kann weitreichende ethische Fragen aufwerfen
Sind menschliche Hirnorganoide nun eine Besonderheit? Und bedarf die Forschung mit ihnen besonderer Regeln? Konsens unter den Teilnehmenden schien zu sein, dass derartig vielversprechende Entwicklungen auch weitreichende ethische Fragen berühren und bekannte Herausforderungen verschärfen können. Zugleich gibt der gegenwärtige Entwicklungsstand allerdings noch keinen Anlass für spezifische Regulierungsmaßnahmen. Angesichts grundsätzlicher Hürden, beispielsweise bei der Messung von Bewusstseinszuständen blieben allerdings einige Fragen offen: Wann sind Grenzen zur Schaffung von Bewusstsein überschritten? Wie lässt sich dies überhaupt feststellen und ethisch beurteilen?
Eine ausführliche Darstellung der Beiträge und Diskussionen, die sich auch weiteren Themen wie tierethischen Fragen, dem Patentrecht oder der Wissenschaftskommunikation widmeten, erscheint in Form einer Publikation.
Die internationale Klausurwoche wurde organisiert von Prof. Dr. Gardar Arnason, Dr. Oliver Feeney und Anja Pichl von der Forschungsstelle „Ethik der Genom-Editierung“ des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Tübingen in Kooperation mit Prof. Dr. Robert Ranisch von der Fakultät für Gesundheitswissenschaften Brandenburg, Universität Potsdam. Das Projekt wird finanziert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).
Hier finden Sie das ausführliche Programm (PDF-Dokument).